Brief von Horst Gerber, Banz, 24.03.2012

Rev. & Mrs. Horst und Helene Gerber Lutheran Church College Banz

P.O. Box 72, Mt. Hagen, WHP

Papua New Guinea

 

Banz, 24.03. 2012

 

Liebe Kinder und Enkel, Verwandte, Bekannte und Freunde,

vor zwei Wochen waren wir noch in Australien, um unsere Visa verlängern zu lassen. Und jetzt wirft schon der baldige Abschied von Leni, am 5. April, seine Schatten voraus. Das bestimmt zwar unsere persönliche Gemütslage. Die äußeren Umstände und Bedingungen hier bleiben verständlicherweise davon nahezu unberührt. Und das ist auch gut so. Es muss und wird ja auch ohne uns wieder weitergehen. Einerseits ereifern wir beide uns immer wieder an bestimmten Zuständen, Ereignissen und Entwicklungen, die wir nur wenig oder gar nicht beeinflussen können. Andererseits dürfen wir uns durchaus über gewisse Ergebnisse oder wenn man so will auch Erfolge, freuen. So hat Leni's „workshop", mit vor allem den Frauen der verheirateten Studenten, bereits das Interesse der Theologenwelt hier erregt. Diese Gruppe von Frauen produziert inzwischen Talare, Stolen und Paramente, die schon reichlich Abnehmer finden. Um gezielter auf Bestellungen hin zu arbeiten, wurde ein Musterkatalog angelegt, der in den Pastorenseminaren und in der Kirchenzentrale aufliegt. Unsere vordringliche Sorge ist nun natürlich, wie diese Gruppe der Nachfrage gerecht werden kann, bis wir nächstes Jahr wieder kommen werden. Dafür gibt es freilich auch schon Vorstellungen, wie dann die Arbeit verbessert und vertieft werden soll, damit sie vielleicht auch ohne Leni irgendwie professionell weitergehen kann. Besonders wichtig erscheint uns dabei auch, dass dieses Projekt einmal von beiden hier ansässigen Einrichtungen getragen wird, dem Lutheran Church College als auch dem nationalen Fortbildungszentrum der kirchlichen Frauenarbeit. So erleben wir hier dieses bestens ausgestattete Zentrum auch einmal mit Leben gefüllt und gebraucht. Den Beteiligten macht es jedenfalls sichtlich Spaß.

Auch die Arbeiten an der Kapelle gehen zügig weiter. Das Bild des Gebäudes verändert sich laufend. Die geflochtenen Bambuswände, die rote und rosa Farbgebung von Dach und Rahmenkonstruktion der Holzpfosten und - träger fügen sich harmonisch in das Umfeld mit der Bibliothek und die natürliche Landschaft und die traditionelle Bautradition. Den Innenraum haben wir mit Sperrholz verkleidet und rundum mit 24 Fenstern ausgestattet. Damit die Kapelle auch in der Nacht erhellt werden kann, sind überall in den Wänden die Kabel verlegt und warten auf ihren Anschluss ans öffentliche Netz, der auch schon unterirdisch verlegt ist. Ich denke, wir liegen ganz gut im Zeitplan. Jedenfalls hat das inzwischen gegründete Komitee die Einweihung auf den 07. April 2013 festgelegt. Das ist der sogenannte Weiße Sonntag nach Ostern. Wir freuen uns alle hier und träumen z.T. schon von Gottesdiensten und Festen, die darin stattfinden werden. Aber vorher wird es noch ordentlich viel Arbeit und Vorbereitungen geben. Aber die sind inzwischen abzusehen. Allerdings kostet das Projekt wesentlich mehr als wir uns das vor 15 Jahren haben vorstellen können. Nicht zuletzt der wirtschaftliche Boom, der durch die irrationale Euphorie über die reichen Rohstoffreserven ausgelöst ist, hat uns eine Kostenexplosion beschert, die sich vor allem auch in den Baustoffpreisen niederschlägt. Wir sind froh über die Zuschüsse, die wir von Neuendettelsau bekommen haben. Doch auch die Gemeinde hier und das College müssen ordentlich investieren. Vielleicht ist das aber auch gut so, weil dann die eigene Leistung die Wertschätzung wesentlich erhöht.

Aber auch der Unterricht bei den Neuen in der 1. Klasse macht einfach Freude. Die 51 jungen Frauen und Männer von allen Ecken und Enden des Landes bringen so viel Erwartungen und Bereitschaft mit. Es ist mir gelungen bei ihnen immer die erste Stunde zu belegen oder manchmal auch zwei. Es ist auch hier möglich Pünktlichkeit und Disziplin durchzusetzen. Auch wenn damit nicht mehr erreicht wird als die Erfahrung und das Bewusstsein, dass es auch anders geht als „pasin bilong PNG", die sie sonst erleben. Wir staunen immer wieder, was dann nach drei Jahren doch für Persönlichkeiten heranreifen, besonders unter den jungen Frauen.

Dieser Eindruck wird dann auch wieder bestätigt, wenn die Ehemaligen zu dem Seminar in den Osterferien kommen. Diesmal werden wir uns thematisch vor allem mit den bevorstehenden Wahlen, einem demokratischen Umfeld und mit der Gewaltenteilung in einem Rechtsstaat beschäftigen. Da bin ich auch schon gespannt.

Damit bin ich gleich bei der aktuellen Situation und Entwicklung im Lande. Als von außen Kommender, der das Land doch etwas kennt, hat man den Eindruck, dass das Land wirklich an einem entscheidenden, auch dramatischen Wendepunkt steht. Es wird so deutlich, dass das alte Bikman-System mit seinen ethnischen Bindungen den neuen Herausforderungen nicht gewachsen ist. Wird sich eine neue Generation durchsetzen können, welche die notwendige Flexibilität und den Willen mitbringt eine bestimmende Inselnation im Pazifik zu werden? Oder werden sich die regionalen Interessen fortsetzen, welche das Land unregierbar machen? Wie werden sich die Ordnungs- und Sicherheitskräfte verhalten, Militär und Polizei? Werden sie diktatorische Tendenzen tolerieren, unterstützen oder selbst durchsetzen? Die benachbarten Ordnungsmächte, Australien und Indonesien sind jedenfalls alarmiert und höchst beunruhigt.

Die augenblickliche Regierung, die das Parlament ohne wirksame Opposition neutralisiert hat, liegt im Machtstreit mit der Justiz, deren Einfluss und Unabhängigkeit sie einschränken möchte. Die Vertreter der alten Regierung haben sich auf ihre regionalen Machtpositionen in den Provinzen zurückgezogen oder gründen ständig neue Parteien und Seilschaften und hoffen damit eine Machtbeteiligung durch die Wahlen herbeizuführen. Bis gestern hatten sich bereits 41 politische Parteien für die Wahlen registrieren lassen. Nicht wenige werden die Wahlen gerne aussetzen, um Zeit zu gewinnen oder so lange wie möglich am Geldhahn zu bleiben. Die Zeitungen sind voll von Berichten über gefälschte Kandidatenlisten, unvollständige und unkorrekte Wählerlisten, korrupte regionale Wahlkomitees, Drohungen der Polizei- und Sicherheitskräfte bei der Wahlausführung etc. Das Wahlvolk will wählen, um endlich das Chaos und die allgemeine Unsicherheit zu beenden. Die Investoren brauchen die Wahlen, um endlich wieder Rechts- und Planungssicherheit zu bekommen oder wenigstens einen Zustand zu erreichen, den sie wie auch immer kalkulieren und beeinflussen können. Die Kirchen, auch unsere Lutherische, verhalten sich bisher merkwürdig still. Fürchten sie die Zukunft, die ihnen weniger Einfluss oder Wohlwollen entgegen bringen könnte? Oder ist es eine unbestimmte Angst, dass entscheidende Veränderungen im Land auch von ihnen oder uns Veränderungen verlangen könnten?

 

Mit vielen lieben Gedanken und Güßen, Eure Gerbers aus Banz